So prägt der Mangel an Informatikerinnen die KI . . .

Foto: TutechIm B&P-Interview: Martin Mahn hat Innovationen stets im Blick. Foto: B&P

INTERVIEW Tutech-Chef Martin Mahn über Künstliche Intelligenz
und die Auswirkungen auf die Gesellschaft.

W enn es um Forschung und Entwicklung, Innovationen und Unternehmensgründungen geht, hat er das Ohr immer auf der Schiene: Martin Mahn, Geschäftsführer der Tutech Innovation GmbH und der Schwester Hamburg Innovation GmbH im Harburger Binnenhafen sitzt als Hauptverantwortlicher für die Organisation von Wissens­transfer an der Schnittstelle von Wissenschaft und Wirtschaft. Technische Neuheiten interessieren ihn immer, denn sie bieten Potenzial für wirtschaftliche Entwicklung. Doch was ist mit ChatGPT & Co.? Ist die KI Fluch oder Segen? Dazu befragte ihn B&P-Redakteur Wolfgang Becker.

Welche Rolle wird die KI in der Zukunft haben?

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Eine wesentliche! Und wir benutzen sie ja schon heute. Hier das Smartphone – es zeichnet unser Gespräch auf. Da steckt KI drin. Ein gutes und bekanntes Beispiel ist die Spracherkennung, beispielsweise das System Alexa. Ein Befehl wie „Such mir mal Fotos mit einem Hund, die ich gemacht habe“ – und schon erscheinen die Fotos. Eine Folge von KI, genau genommen schwacher KI.

Die kann also nur ein bisschen intelligent?

Wir müssen das mal trennen. Es wird immer schnell subsummiert. KI ist eben nicht gleich KI. Mich haben schon in der 70er-Jahren Science-Fiction-Filme begeistert, in denen KI-gesteuerte Androiden herumliefen. Die sind dann irgendwann durchgeknallt und haben die Menschen bekämpft. Das ist 50 Jahre her.

Anders gefragt: Dieses iPhone hier – ist das intelligent? Immerhin spricht es ja mit mir . . .

Nein. Das ist nicht intelligent. Und so kriegen wir den Bogen. Wenn wir von KI reden, denken die Leute immer an Superpower. KI kann alles. Und das ist es ja genau nicht. Es gibt verschiedene Klassifikationen – unter anderem in schwache und starke KI. ChatGPT ist auch eine KI, aber die versteht ja eben nicht, was sie sagt. Das ist lediglich eine Rekombination unseres zuvor eingespeisten Wissens. ChatGPT weiß nicht, ob das, was als Ergebnis ausgeworfen wird, richtig oder falsch ist.

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Textgeneratoren wie ChatGPT greifen allerdings auf eine riesige Datenmenge zu, die wir niemals überblicken könnten . . .

Das ist das Kernthema. Dadurch kann irgendwann eine KI entstehen, die anscheinend so gut ist wie wir und uns Dinge abnehmen kann, aber: Die hat immer noch kein Bewusstsein.

Werden wir eines Tages eine Software haben, die in der Lage ist, beispielsweise Fantasie zu entwickeln?

Fantasie vielleicht nicht, aber ich denke schon, dass sich die Systeme noch weiterentwickeln werden. Allerdings kann KI immer nur so gut sein wie die Qualität der Daten, auf der sie trainiert wurde. Selbstlernende KI gibt es ja bereits, beispielsweise bei der Mustererkennung, aber das ist alles meilenweit davon entfernt, eine Art Bewusstsein zu entwickeln. Ethische Fragen stellt sich KI – bisher – auch noch nicht von alleine – obwohl daran gearbeitet wird. Das berühmte Beispiel im Zusammenhang mit dem autonomen Fahren ist ja vielfach diskutiert worden: Wie soll die KI entscheiden, wenn es bei einer unabwendbaren Kollision um die Entscheidung geht, ob auf dem Zebrastreifen ein Kind oder ein alter Mann anvisiert wird – wer von beiden wird dann überfahren? Diese Frage ist nicht aufzulösen. Aber der Programmierer muss das beantworten. Da kommen wir übrigens zu einem interessanten Punkt: Die meisten AI-Programmierer sind männlich – deshalb heißt es auch, dass Artificial Intelligence zurzeit wohl eher männlich geprägt sei.

Das ist ein spannender Punkt, der aber doch einfach zu lösen ist: Wir brauchen mehr Frauen in der Informatik.

Es gibt zu wenig Ingenieurinnen, Coderinnen und Programmiererinnen. Das alte MINT-Thema. Und das setzt sich leider immer weiter fort.

Das heißt: Es gibt schlicht zu wenig weiblichen Input bei der Programmierung von Algorithmen – also ist KI im Wesentlichen männlich?

Ja! Das ist zurzeit wohl so. Ein superspannendes Thema, wie ich finde – wie gehen wir dagegen an? Trotzdem wird uns KI wahnsinnig nach vorne treiben, weil es einfach für viel mehr Geschwindigkeit sorgt. Wenn das dann noch in Kombination mit höherer Rechenleistung – Stichwort Quantencomputer – betrieben wird . . .

Ich spreche mit meinem Smartphone, das Gerät antwortet, lernt sogar bestimmte Gewohnheiten und schaltet zum Beispiel automatisch zur richtigen Zeit in den Ruhemodus. Ich spreche mit meinem Auto. Ich diskutiere mit Siri. Ist das alles noch normal?

Für unsere Generation vielleicht noch nicht, aber für die Digital Natives ist das schon normal.

Wenn wir das Thema weiterspinnen, gerade auch mit Blick auf ChatGPT – wo findet die Disruption statt, die technische Quantensprünge üblicherweise mitbringen? Einfach gefragt: Was wird eigentlich den Bach runtergehen?

Was den Bach runtergehen wird, ist eine schwierige Frage. Vieles wird sich zumindest drastisch ändern, beispielsweise im Journalismus oder im Bildungssektor. Und leider auch das Nachdenken. Der Mensch ist bequem. Wenn uns alles abgenommen wird, dann stellen wir das Nachdenken ein.
Als Biologe weiß ich aber, dass evolutionäre Entwicklung auf dem Prinzip „Survival of the fittest“ beruht, dem Überleben des Stärkeren. Wir werden jedoch immer unfitter, weil uns immer mehr abgenommen wird. Ein Beispiel: Früher wusste ich doch locker 30 Telefonnummern. Und heute ist alles in diesem Ding (zeigt aufs Smartphone). Und so geht es immer weiter – Smarthome, Smartoffice . . .

Kurz: Wir stehen in der Gefahr zu verblöden?

Das würde ich nicht sagen, denn diejenigen, die diese Geräte programmieren und richtig bedienen, die sind schon sehr fit. Aber das gilt eben nicht für die breite Masse der Nutzer. Wenn wir das Thema weiterspinnen wollen, dann landen wir bei VR – Virtual Reality. In Kombination mit KI wird das das nächste große Ding. Und es wird noch viel stärkere Auswirkungen haben. Auf die privaten und die Arbeitswelten. Die bestbezahltesten Programmierer, sind heute schon diejenigen, die KI-Text- oder Bild-Systeme, wie ChatGPT oder Midjourney, richtig prompten können. Das bedeutet: Sie stellen die richtigen Fragen und erzeugen etwas von Wert. Die verdienen mittlerweile 300 000 Dollar und mehr im Jahr.

Was bedeutet das alles für die Gesellschaft?

Der Mensch ist adaptiv und bequem. Gib ihm eine Stütze, und er nimmt sie. Nehmen wir das Thema VR gepaart mit KI sowie höherer Rechenleistung und toller Grafik. Die Befürchtung ist: Menschen, die vielleicht wenig soziale Kontakte oder Sorgen haben, bauen sich einen eigenen Avatar und gehen in die virtuelle Welt. Dort sehen sie gut aus, haben tolle Eigenschaften und die Welt ist schön. Wer eine VR-Brille aufsetzt, wird merken, dass sein Geist nach wenigen Minuten nicht mehr unterscheiden kann, ob das Gesehene echt oder unecht ist. Dann bin ich da drin und real am liebsten irgendwie weg. Wir sollten jetzt schon eine Heerschar von Psychologen ausbilden – das wird ein ganz neues Krankheitsbild geben. Neben der digitalen Welt brauchen wir echte Begegnungen von Mensch zu Mensch. Das haben wir schon in der Pandemie gesehenen. Virtuelles Leben funktioniert auf Dauer nicht gut. Schon nach zwei Jahren Corona ließ sich im Kleinen feststellen, dass wir alle in gewisser Weise etwas unsozialer geworden sind.

Gibt es auch eine positive Seite der Medaille?

Auf jeden Fall. Im Bereich der Produktion, der Medizin, auch in der Altenpflege und in anderen Bereichen wird uns KI einen großen Schritt nach vorn bringen. Allerdings gibt es eine rasant wachsende Lücke zwischen dem, was technisch heute schon möglich ist, und dem Umstand, wie wir bildungstechnisch hinterherhinken. Zum Programmieren braucht man eben auch Programmierer und Programmiererinnen. Und die fehlen uns zunehmend.

Förderung und Begleitung im AI.Startup.Hub

Als eine von vier durch den Bund finanzierten Modellregionen in Deutschland hat Hamburg die Möglichkeit, Startups aus der Metropolregion zu fördern, die sich mit KI-basierten Geschäftsmodellen befassen. Im AI.Startup.Hub stehen Experten bereit, junge Unternehmen insbesondere auch bei der Skalierung zu begleiten. Entlang aller Entwicklungsphasen – von der Ideenfindung über die Inkubation und Skalierung bis zur Internationalisierung – erwarte die AI-Teams und -Startups ein maßgeschneidertes Unterstützungspaket und individuelle Betreuung, heißt es auf der Internetseite. Nach Berlin bekamen Darmstadt, München und Hamburg 2021 den Zuschlag als Modellprojekt.

Die Hamburg Innovation GmbH ist einer von sechs Kollaborations­partnern des AI.Startup.Hub, mittlerweile über 30 AI-Startups betreut hat. Die Bundesförderung des Modell-Projekts (rund sechs Millionen Euro) läuft bis Mitte 2025. Erstmals können Startups in diesem Rahmen auch finanziell unterstützt werden – beispielsweise in Form von Stipendien bei der Prototypenentwicklung (in der Regel von Software). Martin Mahn: „Das stimmt mich positiv, denn da geht es immer um dynamische Entwicklungen beispielsweise in der Bilderkennung im Medizinbereich. Man darf nicht vergessen: Hamburg ist beileibe keine KI-Hochburg. Was, wie ich fürchte, vermutlich für ganz Deutschland gilt. Meine Hoffnung: Vielleicht ist der Zug noch nicht abgefahren . . .“
Allerdings komme es nicht nur auf gute Ideen, sondern insbesondere auch auf Fachkräfte an. Mahn: „Davon haben wir viel zu wenige. Schon vor zwei Jahren fehlten uns fast 100 000 IT-ler. Und heute produziert allein China schon rund 15 Mal mehr IT-Fachkräfte als Deutschland. Da haben wir total das Nachsehen.“ wb

>> Web: https://www.aistartuphub.com/

>> Web: www.tutech.de