B&P-GESPRÄCH Thorsten Rathje, Vorstandssprecher der Hamburger Volksbank, über die sich andeutende Zinswende, das Sparen an sich und das alternative Geschäftsmodell Bauen.
Die warnenden Worte waren in den zurückliegenden Jahren immer lauter geworden, die Einschätzung vieler Banker deutete aber darauf hin, dass die Zinsen mittel- bis langfristig im Keller verharren würden. Jetzt steht die Welt Kopf, weil das fein austarierte Räderwerk der Wirtschaft durch die Pandemie aus dem Rhythmus geraten ist und sich – als gäbe es nicht schon genug Probleme – ein russischer Präsident in die Geschichtsbücher bomben will. Kurz: Die Zinsen sind in Bewegung. Spürbar wird dies beispielsweise bei Baufinanzierungen, denn wo eben noch eine Eins vor dem Komma stand, wurde zuletzt auch schon mal eine Drei angetestet. Geld kostet wieder Geld. Droht nun der finanzielle GAU für jene Bauherren, die höhere Zinsen kaum verkraften können? Zumindest für seine Kunden erwartet Thorsten Rathje, Vorstandsprecher der Hamburger Volksbank, keinen Flächenbrand.
„Da muss schon sehr viel passieren“
Das billige Geld der vergangenen Jahre hatte viele Menschen dazu bewegt, sich um eine eigene Immobilie zu bemühen. Der Run aufs Betongold als sichere Anlage sorgte Jahr ums Jahr für neue Rekordzahlen in der Immobilienbranche. Allerdings auch für höhere Preise sowohl für Grund und Boden als auch für das Bauen an sich. In der Folge mussten Häuslebauer immer tiefer in die Tasche greifen – was bei Kreditzinsen von gut einem Prozent auch kein Problem zu sein schien. Thorsten Rathje: „Wir haben das genau beobachtet und bei dieser verlockenden Zinslage immer auch eine Kontrollrechnung gemacht, um sicherzustellen, dass unsere Kreditnehmer auch dann noch liquide bleiben, wenn der Zins steigt. Die Frage, was passiert, wenn statt einer Eins plötzlich eine Drei oder gar eine Fünf vorne steht, ist für uns entscheidend bei der Kreditvergabe.“
Die ohnehin schon konservative Herangehensweise und die Empfehlung der Bankenaufsicht, zusätzliche Puffer für den Fall einzubauen, dass ein Preisverfall am Immobilienmarkt zu Problemen bei der Besicherung führen könnte, tun ein Übriges. Rathje: „Bis es aber dazu kommt, dass viele unserer Kunden in eine Zwangslage geraten, da muss dann schon sehr viel passieren.“ Jenes Szenario also, vor dem zunehmend gewarnt wurde, da es zu einer Welle von Privatinsolvenzen führen könnte.
Auch Rathje weiß noch nicht, wie und in welcher Geschwindigkeit die Europäische Zentralbank ihre Zinspolitik umstellen wird, aber er ist sicher: „Jetzt erleben wir so langsam den Abschied vom Negativzins.“ Eine Zinswende bis Jahresende schließt er nicht aus. Das allerdings dürfte vor allem auch jene Kunden aufhorchen lassen, die für ihre Guthaben auf Spar- oder Tageskonten seit Jahren keine Zinserträge mehr gesehen oder gar Negativzinsen gezahlt haben. Dazu Thorsten Rathje: „Die Entwicklung, die wir auf dem langfristigen Markt erkennen, ist am kurzen Ende noch nicht angekommen. Da haben wir bislang noch keine Bewegung, aber die tritt immer etwas verzögert ein.“ Will heißen: Kehrt sich der Zinstrend nachhaltig um, könnten auch Sparer in absehbarer Zeit wieder partizipieren. Das Ergebnis wäre perspektivisch die Renaissance des traditionellen Geschäftsmodells von Banken und Sparkassen.
Das Projekt „F10“ nimmt Formen an
Die Hamburger Volksbank hat in den vergangenen Jahren, wie viele andere Geldinstitute auch, Ausschau nach zusätzlichen Geschäftsfeldern gehalten und sich im Immobilienbereich engagiert. Nach den Filialen in Blankenese und Wedel wird jetzt in Eimsbüttel investiert – und, ganz massiv, sozusagen vor der Haustür der Zentrale an der Hammerbrookstraße. Auf dem Nachbargrundstück an der Frankenstraße investiert die Hamburger Volksbank insgesamt rund 70 Millionen Euro in das Projekt „F10“ (inklusive Grunderwerb). Hier entsteht ein Neubau mit 8300 Quadratmetern Büro- und 2250 Quadratmetern Wohnfläche. Die Bagger sollen laut Thorsten Rathje im Juli rollen. Er rechnet nach der Fertigstellung mit Mieteinnahmen von rund 2,4 Millionen Euro pro Jahr: „Das ist ein alternatives Geschäftsmodell und macht uns unabhängiger vom Zinsthema.“
Auf Zukunftskurs: Die Zahlen der Hamburger Volksbank
Die Hamburger Volksbank schließt das Geschäftsjahr 2021 mit einem deutlich besseren Jahresergebnis ab als im Vorjahr. Damit bewährt sich der konsequent eingeschlagene Zukunftskurs unter weiterhin herausfordernden Rahmenbedingungen. „Wir haben uns in allen Bereichen effizienter sowie entsprechend der geänderten Bedürfnisse unserer Kunden aufgestellt und setzen weiter auf die Stärkung unseres Eigenkapitals“, so Vorstandssprecher Thorsten Rathje. „Unsere diesjährige Ergebnissituation bietet uns eine solide Grundlage, die zunehmenden regulatorischen Anforderungen zu erfüllen und weiter in Kundenorientierung, Digitalisierung, Nachhaltigkeit und unsere Mitarbeitenden zu investieren.“
Partnerschaft Mittelstand
Die Hamburger Volksbank hat ihre Partnerschaft mit dem Mittelstand im Geschäftsjahr 2021 weiter ausgebaut. Der Kreditbestand konnte um 3,7 Prozent auf 2,350 Milliarden Euro gesteigert werden. Wesentlicher Wachstumstreiber war das langfristige Immobilienfinanzierungsgeschäft. Vorstandsprecher Thorsten Rathje: „Der Hamburger Mittelstand hat sich in der Corona-Krise als robust erwiesen. Der Vorteil für uns als Genossenschaftsbank ist, dass wir mit unseren Kunden in einem engen Austausch stehen und gemeinsam Lösungsansätze entwickeln.“
Wendepunkt Geldanlage
Anhaltend niedrige Zinsen und hohe Inflationsraten haben das Spar- und Anlageverhalten im Geschäftsjahr 2021 spürbar beeinflusst. Dies führte zu einer sehr erfreulichen Entwicklung des Wertpapiergeschäfts. Rathje: „Wir nehmen ein Umdenken wahr – jeder dritte Euro in diesem Bereich geht in nachhaltige Anlagen, in der Regel Fonds.“ Insgesamt konnte der Wertpapierertrag um knapp 30 Prozent gesteigert werden. Parallel erhöhte sich der Einlagenbestand der Hamburger Volksbank im Jahr 2021 um 5,8 Prozent auf 3,326 Milliarden Euro.
Stabile Basis für die Zukunft
Die Hamburger Volksbank hat ihren Wachstumskurs vor dem Hintergrund der herausfordernden Rahmenbedingungen nach eigener Aussage solide fortgesetzt. Der Zinsüberschuss sei erfreulich auf 55,3 Millionen Euro gestiegen, der Provisionsüberschuss konnte ebenfalls zulegen und erreichte 25,5 Millionen Euro. Das Betriebsergebnis vor Bewertung verbesserte sich deutlich auf 24,7 Millionen Euro (14,6 Millionen in 2020). „Dieses Ergebnis führt zu einer erheblichen Stärkung unseres Eigenkapitals. Vor dem Hintergrund zunehmender regulatorischer Eigenkapitalanforderungen ist dieses Betriebsergebnis so erfreulich wie notwendig, um unsere Zukunftsfähigkeit nachhaltig sicherzustellen“, so Rathje.
Einen besonderen Vertrauensbeweis sieht der Vorstandssprecher in der sehr positiven Entwicklung der Geschäftsguthaben der 63 349 Mitglieder, die sich um sage und schreibe 59,6 Prozent auf 66,1 Millionen Euro erhöhten: „Die Stärkung unserer Eigenkapitalausstattung durch unsere Mitglieder ist ein zusätzlicher Puffer, sichert das zukünftige Kreditgeschäft und macht uns noch zukunftsfähiger.“