Gas abschalten? Das ist gar nicht so einfach . . .

ad hoc-Vortrag im Wirtschaftsverein für den Hamburger Süden: Gasnetz Hamburg über die komplexen Versorgungsstrukturen und die Vorbereitungen auf eine drohende Versorgungskrise.

Mit schnellen Antworten auf schwierige Fragen ist mancher Politiker und auch mancher Bürger schnell bei der Hand. Das gilt beispielsweise für das immer wieder geforderte Energie-Embargo, mit dem Deutschland und die gesamte EU auf den Angriffskrieg von Wladimir Putin gegen die Ukraine antworten könnten, um nicht auch noch indirekt die Kriegskasse des russischen Aggressors zu füllen. Doch es ist unabhängig vom Bedarf und gerade beim Gas nicht damit getan, einfach den Hahn zuzudrehen, denn daraus ergeben sich eine Reihe von technischen Fragen, die offenbar noch gar nicht beantwortet sind. Das wurde im Rahmen der Online-Vortragsreihe „Wirtschaftsverein ad hoc“ (Themen im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise) deutlich, zu der der Wirtschaftsverein für den Hamburger Süden jetzt Jan Schwartz, Key-Account-Manager bei Gasnetz Hamburg, eingeladen hatte.

In seinem Vortrag gab Schwartz unter anderem einen Überblick über das komplexe Gasnetz in Deutschland, das aus drei Hauptlinien gespeist wird: Niederlande, Norwegen und Nordstream I, also Russland. Schon das Herunterfahren der Versorgung nach einem abgestuften Plan löst demnach erhebliche technische Probleme aus, da beispielsweise bei Großverbrauchern wie Industrieunternehmen mit ganz anderen Drücken in den Leitungen gearbeitet wird. Müssen große Verbraucher mangels Gasvorrat vom Netz genommen werden, gerät das fein austarierte Netz unter Stress.

Der derzeit schlimmste denkbare Fall hieße: Putin dreht den Gashahn zu. Da Deutschland mehr als die Hälfte des russischen Gases (Lieferung nach Europa 2020: 168 Milliarden Kubikmeter) abnimmt, ist nicht nur die Abhängigkeit, sondern auch der Impact auf das Netz riesengroß. Wie sich ein Versiegen (durch Lieferstopp) oder ein Schließen (durch Embargo) der russischen Pipelines konkret auswirken würde, ist unklar. Schwartz: „Das lässt sich derzeit nicht beantworten. Diese Frage wird auf Ebene der Bundesnetzagentur noch geprüft. Wir arbeiten mit unterschiedlichen Druckstufen und haben zahlreiche Aggregate zwischengeschaltet. Das gilt allerdings für die russische Seite ebenso.“

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Gesetzt den Fall, der Krieg eskaliert weiter und die Gaslieferungen werden tatsächlich unterbrochen, könnte demnach das gesamte Gasnetz instabil werden und ließe sich nicht ohne Weiteres wieder einschalten. Schwartz: „Das ist eine wichtige Frage. Angenommen, wir müssten komplett runterfahren, braucht es eine längere Zeit, bis das Gasnetz wieder so zur Verfügung steht wie gewohnt.“ Vorausgesetzt, dass sich die Gaslieferungen bis dahin normalisiert haben.

Die Antwort auf eine Frage aus der Zuhörerschaft lässt ebenfalls wenig Hoffnung auf eine schnelle Lösung aufkommen: Die Beimischung von Wasserstoff zum Erdgas sei nur bedingt möglich, so Schwartz. Dazu seien die Leitungen und die technischen Komponenten (Druckminderer, Zählaggregate, etc.) gar nicht ausgelegt. Ein H2-fähiges Gasnetz solle im Hamburger Hafen realisiert werden – ein Thema für 2026/2027. Schwartz weiter: „Nennenswerte Effekte zur Reduzierung des Gasverbrauchs durch Beimischung von Wasserstoff sind eher 2030 bis 2035 zu erwarten.“ Grüner Wasserstoff gilt als regenerative Alternative zu fossilen Energieträgern, zu denen auch Erdgas zählt.

Das Thema Versorgungssicherheit treibt offenbar viele Menschen um. Franziska Wedemann, Vorsitzende des Wirtschaftsvereins, registrierte mit 60 ad hoc-Teilnehmern einen neuen Rekord. Gasnetz Hamburg ist übrigens ausschließlich für den Betrieb des Hamburger Gasnetzes verantwortlich und abhängig von den Entscheidungen der Bundesnetzagentur, die jüngst auf Geheiß der Politik treuhänderisch die Gasspeicher von Gazprom Germany übernommen hatte – ebenfalls ein Akt zur Sicherung existenzieller Infrastruktur, denn Gazprom betreibt einige Gasspeicher, die als Puffer und Reserve ins bundesdeutsche Gasnetz integriert sind.