„Die Welt ist aus dem Takt“

Foto: Christian Ströder/AGADr. Hans Fabian Kruse, Präsident des AGA Unternehmensverbands || Foto: Christian Ströder/AGA

AGA-Präsident Dr. Hans
Fabian Kruse rechnet damit, dass die Folgen von Krieg und Corona ganz sicher noch drei bis fünf Jahre lang zu spüren sein werden.

Containerschiff-Stau, Energieknappheit und massive Inflation: Die Welt scheint aus dem Takt. Auch die Wirtschaft hat es angesichts der aktuellen Entwicklungen schwer. Das bekommt Dr. Hans Fabian Kruse, Präsident des AGA Unternehmerverbands, tagtäglich von seinen Mitgliedern zu hören – und erfährt es auch am eigenen Leib. Denn er ist geschäftsführender Gesellschafter der Wiechers & Helm GmbH & Co. KG. Die Unternehmensgruppe handelt vor allem mit Chemikalien und Pharmarohstoffen, die zumeist per Containerfracht aus Übersee kommen. Kruse, seit 2011 Honorarkonsul von Österreich, fordert als Reaktion auf die Krisen nun deutliche Veränderungen. Ein Interview-Auszug von Tobias Pusch aus dem B&P-BusinessTalk mit Host Wolfgang Becker.

Eigentlich dachten wir, dass 2022 die Corona-Krise vorbei ist und dass die Wirtschaft wieder läuft. Nun ist Corona immer noch da und obendrein schockt der Krieg in der Ukraine die Welt. Ziemlich düstere Aussichten, oder?

Ja. Allein Corona hat das Zeug, uns auch im Jahr 2022 weiterhin massiv zu beschäftigen. Grund hierfür ist die Zero-Covid-Strategie Chinas, durch die ganze Regionen samt ihrer Häfen in den Lockdown geschickt werden und somit lahmgelegt sind. Allein vor Schanghai hingen zeitweise hunderte Containerschiffe fest. Das ist ein großes Problem.

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Erklären Sie uns bitte die konkreten Auswirkungen dieses Rückstaus.

Der Lockdown wird sich erst in diesen Tagen so richtig bei uns bemerkbar machen. Denn das, was in China in den vergangenen Monaten nicht verladen werden konnte, war ja erst für diese Tage bei uns eingeplant. Aktuell gibt es vielleicht noch ein paar Vorräte, aber die sind bald aufgebraucht. Und so werden Produkte nun knapp oder auch einfach nur deutlich teurer.

Zudem steigen durch den Lockdown auch die Frachtraten massiv . . .

Ja, das ist ja auch ganz logisch. Früher dauerte ein Umlauf von China nach Europa und wieder zurück etwa 50 Tage. Jetzt sind es 75 bis
85 Tage. Das bedeutet natürlich, dass die Kapazitäten schrumpfen, was wiederum zu einem deutlichen Anstieg der Frachtraten führt. Obendrein sind die dringend benötigten Container nicht verfügbar, weil die ja auf den Schiffen festhängen. Man kann sagen, dass etwa ein Drittel der Transportkapazität aktuell nicht zur Verfügung steht.

Das konnte man sich noch vor drei Jahren kaum vorstellen, oder? Damals haben Sie Container für einen Spottpreis um die Welt gesendet.

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Früher gab es immer eine leichte Überkapazität. 1500 Euro hat uns der Container damals gekostet. Wir kommen nun einmal aus einer Welt des perfekten Räderwerks. Das Uhrwerk der Logistik war auf Just-in-time optimiert und lief hervorragend. Nun ist es völlig aus dem Takt, Normalität in den Logistikketten gibt es frühestens im kommenden Jahr wieder.

Wo liegen die Frachtraten denn heute?

Aktuell zahlen wir für den Transport eines 40-Fuß-Containers 12 000 bis 15 000 Euro. Ich kann Menschen verstehen, die sagen, dass es unmoralisch ist, wenn Hapag-Lloyd 1,5 Milliarden Euro im Monat verdient. Ich wettere nicht gegen Reedereien, die haben schwere Jahre hinter sich. Aber so wie es jetzt ist, kann es nicht dauerhaft bleiben.

Sind die Waren, die geliefert werden sollen, überhaupt vorhanden?

Ja, aber wir sind zu abhängig von einigen wenigen Ländern. Da müssen wir alternative Lieferquellen finden. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. In der Chemie gibt es beispielsweise bestimmte Produkte aktuell nur aus China. Aber auch der Ukraine-Krieg zeigt uns, wie massiv wir auf Produkte und Rohstoffe aus anderen Ländern angewiesen sind.

Wie müssen wir uns im Außenhandel zukünftig aufstellen?

Wir müssen deutlich resilienter werden. Das ist jetzt kein Abgesang auf Globalisierung und den internationalen Handel. Die werden wir auch weiterhin benötigen und von ihnen profitieren. Aber wir müssen eben wieder verstärkt darauf achten, dass wir auch eine Zweit- und Drittquelle für Produkte haben – auch wenn uns das dann vielleicht mehr kostet.

Wie lange wird es dauern, bis die Wirtschaft diese neue Normalität erreicht hat?

Die Folgen von Krieg und Corona werden mit Sicherheit noch zwei bis fünf Jahre zu spüren sein. Was das konkret bedeutet, kann ich an einem Beispiel aus meiner eigenen Firma zeigen. Wir handeln mit Chemikalien und Pharmarohstoffen. Früher hätten wir jetzt für August Ware zu einem festen Preis bestellt. Heute kann ich lediglich eine Reservierung fürs vierte Quartal tätigen. Zwei Wochen vor dem Termin erfahre ich dann den Preis und kann sagen, ob ich bereit bin, den zu zahlen.

Was ist Ihre persönliche Einschätzung, wie es mit Russland in der Weltwirtschaft weitergehen wird?

Wir leben alle in einer gemeinsamen Welt. Das Zusammenleben muss also dauerhaft gelingen, und zwar mit möglichst wenig Paria-Staaten. Wir brauchen kein weiteres Nordkorea. Ich stehe voll hinter den Sanktionen. Aber mittelfristig muss es Wege für Russland geben, ein Teil der Community zu bleiben. Man darf nicht die Russen mit Putin gleichsetzen.

>> Web: www.aga.de