Fruchthändler Sven Heinsohn über den Preiskampf im Einzelhandel, die Gewöhnung an den Überfluss und den Krisenmodus im weltweiten Frachtgeschäft.
Es ist kompliziert. Wenn Sven Heinsohn, Geschäftsführer der Buxtehuder Fruchthandelsagentur Global Fruit Point, über die aktuelle Situation in seiner Branche spricht, wird schnell deutlich, dass das fein justierte Räderwerk der Lebensmittelversorgung weltweit aus dem Rhythmus geraten ist. Das liegt allerdings nur zum Teil an Corona – vielmehr scheint es, als habe der Pandemie-Impact ein System offengelegt, das schon vorher an einigen Stellen aus dem Gleichgewicht geraten war. Im B&P-Gespräch mit Heinsohn stehen drei Hauptthemen im Fokus: Folgen und Chancen der Stadtflucht, soziale Gerechtigkeit und Wertschätzung von Lebensmitteln sowie die aktuellen Probleme auf den weltweiten Handelsrouten, mit denen auch das Buxtehuder Unternehmen täglich zu kämpfen hat.
Fruchthandel im Krisenmodus
„Planung ist kaum mehr möglich“, fasst Sven Heinsohn die Situation zusammen, mit der Global Fruit Point konfrontiert ist. Planung ist allerdings das Hauptgeschäft der Fruchthändler, die dafür sorgen, dass die Lebensmittelgeschäfte rund ums Jahr mit frischer Ware versorgt werden: Trauben, Beeren, Mangos, Avocados, Zitrusfrüchte, Bananen – das volle Programm der bunten Obst- und Gemüseabteilungen, in denen der Norddeutsche (und mit ihm alle Europäer) wie selbstverständlich auch im Januar nach dunklen Weintrauben für die Käseplatte Ausschau hält. Die Erzeuger sind rund um den Globus verteilt, denn bekanntlich ist immer irgendwo Sommer. Also gibt es immer alles.
Oder auch nicht. Heinsohn: „Unsere größte Herausforderung ist die Zeit. Wenn ein Rädchen in der weltweiten Schifffahrt defekt ist, gerät die ganze Rotation von Schiffen, Containern, Paletten und Schiffspassagen durcheinander – diesen Zustand haben wir jetzt. Bei uns hat das einen Dauerwarnzustand ausgelöst. Plan B und Plan C sind dauerpräsent.“ Die Faktoren, die die Krise ausgelöst haben: Corona, der Crash im Suez-Kanal, Riesennachfrage in den USA und Staus in den großen Häfen. Heinsohn: „In Los Angelos liegen die großen Containerschiffe mittlerweile zehn Tage auf Reede, bevor sie abgefertigt werden. In Philadelphia sind es fünf Tage. Für verderbliche Ware ein Desaster.“
In der Folge hat sich der Fruchthandel auf Alternativen konzentriert neben dem Containerverkehr: „Zusammen mit unseren Exporteuren und Erzeugern setzen wir verstärkt unter anderem auf die klassischen Kühlschiffe, die deutlich weniger anfällig für Vers pätungen sind. Da passen 4000 bis 6000 Paletten Frucht hinein. Ist das Schiff voll, fährt es los. Fertig“, sagt Sven Heinsohn. Im Containerverkehr ist das anders, da an Bord alle möglichen Waren zu finden sind. Dort herrscht die bunte Mischung, und die großen Mengen sind in der Abfertigung viel aufwendiger. Heinsohn: „Mit den Kühlschiffen sind wir unabhängiger von den großen Schiffsverkehren, zumal die leeren Container auch häufig dort fehlen, wo sie gerade gebraucht werden.“
Sowohl im Containerverkehr als auch bei den Kühlschiffen steigen allerdings die Preise. Heinsohn: „Früher kostete der Transport zum Beispiel einer Palette Bananen von Ecuador nach Deutschland 150 US Dollar. Heute sind es zirka 100 US Dollar mehr. Das heißt: Auf das Kilo Bananen entfallen zwölf Cent Mehrkosten für die Fracht. Mit steigenden Verpackungskosten für Kartonagen, Folien und Paletten, höheren Spritpreisen vor Ort und gestiegenen Kosten für Transport-Sicherheit sind es dann insgesamt etwa 14 bis 16 Cent mehr. Das heißt: Der Lebensmitteleinzelhandel müsste die Preise erhöhen. Das ist die Botschaft.“
Dass ausgerechnet Kartonagen zu einem Problem werden konnten, verwundert auch Sven Heinsohn. „Da hatten wir eigentlich nie ein Problem, aber in den Ursprungsländern der Früchte in Übersee ist das ein massives Thema. Nicht jedes Land hat eine Kartonagenfabrik. Außerdem fehlt es an Rohmaterial, was wiederum dazu führt, dass Aufträge nicht abgearbeitet werden können. Kartonagen sind binnen eines Jahres um etwa 50 bis 60 Prozent teurer geworden – statt der üblichen Steigerung von drei bis fünf Prozent. Wir haben folgende Gemengelage: Die Lebensmittelnachfrage ist coronabedingt gestiegen. Die Produktionsmengen waren sehr unterschiedlich aufgrund von Witterungsbedingungen. Die Frachten werden schwieriger. Und die Kosten steigen. Corona hat uns gezeigt, wie anfällig wir sind, wenn ein Rädchen im System nicht mehr funktioniert.“
Leben auf Kosten anderer
Als Fruchthändler kennt Sven Heinsohn die Situation in den Erzeugerländern dieser Welt. Speziell in Deutschland vermisst er die Wertschätzung für Lebensmittel. Er sagt: „Fairere Preise für die Erzeuger sind nicht durchsetzbar, da der Preisdruck im Wettbewerb sehr stark ist. Das Kilo Bananen für 99 Cent bis 1,09 Euro ist aber nur deshalb zu haben, weil die Erntehelfer in Mittelamerika im Monat von knapp 500 US-Dollar lebt. Damit kann er vielleicht seine Familie ernähren, aber den nächsten Schritt zu mehr Wohlstand oder Bildung kann er nicht machen.“
Und weiter: „Ich habe viele Menschen gesehen, die sehr hart arbeiten, und bin der Meinung, dass sie dafür fair bezahlt werden müssen. In Deutschland sind die Lebensmittelpreise jedoch am unteren Ende der Skala. Obst und Gemüse – das ist alles Handarbeit. Ich finde, das sollte mehr wertgeschätzt werden. Und eben auch mehr kosten dürfen. Stattdessen leisten wir uns den ‚Luxus‘, täglich zu viele Waren aus dem Frischebereich wegzuwerfen. Wir sprechen immer von Nachhaltigkeit, sind aber zu oft eine Wegwerfgesellschaft.“ Solange jedoch die Schnäppchenjägermentalität verhindere, dass sich im Lebensmitteleinzelhandel beispielsweise mehr Nachhaltigkeit und fairere Preise platzieren lassen, werde sich nichts ändern. Heinsohn weiter: „Bei 20 Cent mehr für ein Kilo Bananen laufen die Leute zum billigeren Mitbewerber. Wenn aber das neue iPhone herauskommt und 100 bis 200 Euro teurer ist als das Vorgängermodell, dann steht man Schlange. Das meine ich mit mangelnder Wertschätzung von Lebensmitteln.“
Die Chance für den Dorfladen
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Struktur im Lebensmittelhandel verfestigt. Vier große Player teilen sich den Markt auf: Lidl, Aldi, Edeka und Rewe. In der Regel sind die Märkte in Stadtrandlage und in den Zentren zu finden. Durch Corona hat sich jedoch eine Gegenbewegung zur Landflucht beschleunigt, die ihre Ursache allerdings auch in den hohen Immobilienpreisen in Stadtlage hat: Junge Familien ziehen wieder verstärkt in die ländlichen Räume, vermissen dort aber vielfach die gesicherte Nahversorgung.
Sven Heinsohn, der auch Abgeordneter im Gemeinderat Jork ist: „Dadurch könnten langfristig in ländlichen Gemeinden noch weitere Vorteile entstehen. Schon jetzt ist der Hofladen oft eine wichtige Einnahmequelle für den Obstbauern, der dort für eine gewisse Tonnage seiner Apfelproduktion mehr Geld durch Direktvermarktung erzielen kann als beim Lebensmitteleinzelhandel. Mittlerweile haben viele Hofläden, aber auch Marktstände und das Angebot deutlich ausgeweitet. Sie rücken zunehmend in die Rolle des Nahversorgers. Hohe Spritpreise und Homeoffice tun ein Übriges – längst verloren geglaubte alte Strukturen wie ein Dorfladen haben plötzlich wieder eine Chance.“
In der Stadt gebe es alles in Hülle und Fülle, so der Unternehmer, der sich durchaus vorstellen kann, dass dörfliche Strukturen wiederbelebt werden könnten. Aber Sven Heinsohn sagt auch: „Unser Konsumverhalten an Obst und Gemüse sollten wir hier und da überdenken. Unsere Branche steht für Frische, Gesundheit und Geschmack, und diese Produkte verdienen mehr Wertschätzung, sodass nachhaltig, fair und klimafreundlich weltweit produziert werden kann. So macht eine aufwendige Logistik erst Sinn.“ wb
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