„Wir müssen jetzt die Nerven behalten“

Foto: Wolfgang BeckerAGA-Jahrestagung in Zeiten der Pandemie: Alle Akteure, auch Hamburgs Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher, wurden online zugeschaltet. Und alle warten irgendwie darauf, dass man sich endlich mal wieder live begegnen kann . . . Foto: Wolfgang Becker

AGA-Jahrestagung im Online-Modus: Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher und Verbandspräsident Hans Fabian Kruse zeichnen eine optimistische Perspektive

Was heute noch gilt, kann morgen schon anders sein: Die großen Unsicherheiten in der Bewertung der Corona-Pandemie vor allem mit Blick auf die Wirtschaft standen auch im Mittelpunkt der traditionellen Jahrestagung, zu der der AGA Norddeutscher Unternehmensverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V. traditionell im Frühjahr einlädt. Dieses Mal meldete sich Hauptgeschäftsführer Volker Tschirch direkt aus dem TV-Studio, das der AGA eingerichtet hat (und auch seinen Mitgliedern zur Verfügung stellt). AGA-Präsident Dr. Hans Fabian Kruse gab ein differenziertes Lagebild aus den Unternehmen zum Einstand, dann war es an Hamburgs Bürgermeister, Dr. Peter Tschentscher, die Sichtweise der Politik zu erläutern – immer unter dem Vorbehalt einer sich ständig verändernden Situation, aber durchaus auch mit einer optimistischen Perspektive.

Wermutstropfen Luftfahrt

Dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt nach zehn Jahren des Wachstums um fünf Prozent eingebrochen ist, zeigt die teils existenziellen Auswirkungen der Pandemie auf einzelne Branchen. Sowohl Tschentscher als auch Kruse sehen Gewinner und Verlierer. Während einzelne Branchen Rekordumsätze verbuchen und beispielsweise der OnlineHandel durch die Decke geht, ächzen der stationäre Handel (ausgenommen Lebensmittel), die Hotellerie, die Gastronomie, der Tourismus und der Bereich Kultur/Events/Messen unter den Folgen des Lockdowns. Tschentscher: „Sobald sich das Leben wieder einigermaßen normalisiert, die Läden wieder öffnen und Veranstaltungen wieder möglich sind, dürfte es hier einen Nachhol­effekt geben, der zumindest einen Teil der Verluste wieder ausgleicht.“

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Doch das gilt nicht für alle. Tschentscher weiter: „Ein Wermutstropfen ist die Luftfahrt. Viele Unternehmen haben sich umgestellt und gelernt, dass Meetings auch online funktionieren. Die Geschäftsfliegerei, wie wir sie vor der Pandemie kannten, wird es in diesem Ausmaß wohl nicht mehr geben. Es wird davon ausgegangen, dass es Jahre dauern wird, bis die Luftfahrt wieder ihr ursprüngliches Niveau erreicht.“ Nun ist die Luftfahrt nicht beim AGA vertreten, aber der größte Arbeitgeber der Hansestadt heißt Airbus und Lufthansa Technik ist ebenfalls ein Schwergewicht – die Worte des Bürgermeisters lassen erahnen, dass dieser Teil der Industrie und all der Zulieferer und Dienstleister durchaus mit Sorge betrachtet wird.

Hoffen auf die Impfkampagne

Kruse: „Corona drückt auf die Stimmung. Viele Händler schauen pessimistisch in die Zukunft. Wir spüren die Unsicherheit und auch die schwindende Geduld der Menschen im Lockdown.“ Aber er sagte auch: „Die Konjunktur ist weniger stark eingebrochen als in der Finanzkrise vor gut zehn Jahren.“ Sowohl der AGA-Präsident als auch der Bürgermeister setzen große Hoffnung auf die leider schleppend angelaufene Impfkampagne. Tschentscher versprach, dass es bereits im zweiten Quartal eine deutliche Entspannung geben wird, weil dann deutlich mehr Impfdosen geliefert werden sollen: „Bis Ende März haben wir hier noch eine echte Mangelverwaltung, aber im zweiten und dritten Quartal wird sich das substanziell verbessern. Wir müssen jetzt noch einige Wochen die Nerven behalten und die Infektionszahlen niedrig halten. Unser Ziel: Die Pandemie darf uns nicht entgleiten.“ Er sei optimistisch, dass sich die Situation Ende des Jahres deutlich besser darstelle als jetzt. Dazu brauche es jetzt weiterhin Disziplin. Tschentscher: „Wir haben den Ausweg aus der Pandemie vor Augen. Das Impfen spielt dabei eine zentrale Rolle.“

Warten auf die zugesagten Hilfen

Ein zweites Thema, das vor allem die vom Lockdown besonders betroffenen Unternehmen umtreibt, ist die schleppende Auszahlung der Corona-Hilfen. Hier sprach Tschentscher Klartext: „Wir Länder haben uns dafür eingesetzt, die Gelder sofort auszuzahlen. Das klappt leider nicht überall und sorgt für viel Unmut. Wir stehen bereit – sobald das Bundeswirtschaftsministerium die entsprechende Programmierung der IT-Systeme fertiggestellt hat. Daran hapert es ja.“

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AGA-Präsident Kruse nutzte die Gelegenheit, ein Statement in Richtung Politik abzugeben: „Was wir nicht brauchen, ist ein noch so gut gemeintes Lieferkettengesetz und einen Rechtsanspruch auf Homeoffice.“ Für den Bürgermeister hatte er allerdings auch eine gute Nachricht auf dem Redemanuskript: „30 Prozent der Unternehmen wollen Personal einstellen, nur 14 Prozent planen einen Abbau. Wir halten unsere Fachkräfte.“ Und: „Ich rechne damit, dass die Wirtschaft den Rückgang schon im kommenden Jahr wieder aufgeholt hat.“ wb

>> Web: www.aga.de