Verkehrsbehörde spricht von Jahrhundert-Chance – Prüfauftrag zur Erweiterung der Elbbrücken.
Jeder Weg beginnt mit einem ersten Schritt – das gilt auch für die Lösung des sich immer mehr zuspitzenden Verkehrsproblems in der Metropolregion Hamburg. Verstopfte Autobahnen, Dauerbaustellen, marode Brücken und überlastete Zugstrecken vor allem morgens und abends, wenn die Pendler unterwegs sind. Der Plan, den Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks jetzt vorgestellt hat, setzt auf die Schiene. Bund, Bahn und Hamburg prüfen, ob der Flaschenhals Norderelbbrücke, und in der Folge möglicherweise auch die Süderelbbrücke, um zwei weitere Gleise erweitert werden kann.
Klingt einfach, ist aber sehr komplex. Das Ziel: Der Hamburger Süden, de facto die Kapazität auf der Strecke Harburg-Hamburg Hauptbahnhof, soll mit zwei weiteren Gleisen verdoppelt werden. Damit ließe sich der Engpass auf der Schiene beseitigen, was sich wiederum entlastend auf den Straßenverkehr auswirken würde. Konkret wird dies über eine weitere Brücke erreicht, die zwischen die vorhandenen Bauwerke gelegt werden müsste (Visualisierung auf Seite 20). Und das bei laufendem Betrieb.
Europäische Dimension
Auf den ersten Blick klingt das nach einem regionalen Vorhaben, tatsächlich wäre der Ausbau dringend notwendig, um eine leistungsfähige nationale Nord-Süd-Verbindung (Fernverkehr) herzustellen. Und: Norder- und Süderelbe sind auch der Flaschenhals für die Verbindung zwischen Skandinavien und den südlicheren europäischen Ländern. Damit hat das Projekt eine europäische Dimension.
Paradox: Dem maroden Zustand der Elbbrücken ist es zu verdanken, dass sich dieses historische Fenster öffnet. Tjarks: „So eine Brücke hält in der Regel 100 Jahre, dann muss sie ersetzt oder saniert werden. Dieser Zeitpunkt rückt jetzt näher. Wenn wir den großen Wurf wollen, dann besteht jetzt eine einmalige Chance auf eine Kapazitätserweiterung – die erste seit 100 Jahren.“
Das sind die konkreten Schritte
Der „Flaschenhals“ Elbbrücken ist historisch gewachsen. Aktuell verengen sich die vier Gleise vom Hauptbahnhof und zwei Gleise aus Richtung Rothenburgsort im Bereich zwischen den beiden U- und S-Bahn-Stationen Elbbrücken zu vier Gleisen und bilden südlich des Hauptbahnhofs einen Engpass auf der Schiene. Schon der Fahrplan 2020 ergab hier eine Überlastung des Streckenabschnitts von teilweise 140 Prozent, wie Verkehrssenator Anjes Tjarks ausführte. Die vorhandenen Engpässe führen in der Praxis dazu, dass zwischen Hauptbahnhof und Harburg teilweise keine freien Fahrbahntrassen mehr verfügbar sind. Die daraus resultierenden Einschränkungen wirken sich zeitweise negativ auf das gesamte Schienennetz aus. Auch für die Umsetzung der Mobilitätswende und des Deutschland-Taktes ist aus Sicht der Behörde deshalb eine deutliche Steigerung der Kapazitäten nötig.
„Sechs statt vier Gleise über die Norderelbe für den Fern-, Regional- und Güterverkehr wären ein echter Schub für die Mobilitätswende in Hamburg, die Region, aber auch für den Deutschland-Takt insgesamt. Es ist ein wichtiger Schritt, dass Bund, Bahn und Hamburg jetzt gemeinsam schauen wollen, ob und wenn ja, wie wir diese große Chance ergreifen und umsetzen können. Wir werden diese Schritte eng und partnerschaftlich mit dem Land Niedersachsen abstimmen“, kündigt Tjarks an.
Im ersten Schritt hat Hamburg die Sanierung der denkmalgeschützten Freihafenbrücke (von Süden aus die linke der Norderelbbrücken) ausgesetzt und die Ausschreibung der Arbeiten gestoppt. Das markante Bauwerk muss um ein paar Meter nach Westen verschoben werden, wenn die benachbarte Bahnstrecke um eine zweigleisige Brücke erweitert werden soll. Der Bund will im Rahmen einer Machbarkeitsstudie sowohl die beschriebene Erweiterung der Bestandsstrecke (also Norder- und Süderelbbrücke) als auch eine neue westliche Elbquerung prüfen. Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium: „Die Arbeiten an der Studie sollen noch in diesem Jahr beginnen. Erste Ergebnisse sollen 2022 vorliegen. Wir streben an, die Untersuchungen der nun anstehenden Bedarfsplanüberprüfung im Jahr 2023 abzuschließen.“
Laut Tjarks hat der jüngste Brücken-Gipfel in Hamburg ergeben, dass bis 2031 70 Bauwerke ersetzt oder saniert werden müssen – darunter auch die Norderelbbrücken. Hier passieren derzeit pro Tag 660 Züge. Der Senator: „Kommt der Deutschland-Takt, werden es noch mehr. Allein in Harburg haben wir schon eine Kapazitätsauslastung von 140 Prozent.“ Das Ende der Fahnenstange scheint also erreicht. Für Tjarks ist die Bahnstreckenertüchtigung ein wesentlicher Baustein der Mobilitätswende: „Die erreichen wir nicht mit dem Fahrrad, um das mal klar zu sagen. Die Mobilitätswende in der City ist gewollt, aber gewonnen wird sie um Umland.“