Die Zeitbombe tickt

Foto: Wolfgang BeckerB&P-GESPRÄCH Rechtsanwalt Dr. Mathias Schlichting und Steuerberater Herbert Schulte von Dierkes Partner über die Tücken des Covid-Schutzschirms || Foto: Wolfgang Becker

Die Tücken des Covid-Schutzschirms

2020 – das Jahr der Wellen: Im März die erste Corona-Welle, im Nachgang die medial attestierte Depressionswelle, dann eine permanente Protestwelle à la Querdenker & Co., seit Oktober die zweite Corona-Welle und nun zum Jahresende die sich abzeichnende Insolvenz-Welle. Es gibt nicht wenige Zeitgenossen, die davon überzeugt sind, dass es nun wirklich reicht. Doch so einfach ist das nicht. Vor allem das Thema Insolvenzen liegt der Wirtschaft und der Politik schwer auf dem Magen – und auch so manchem Steuerberater, den nun wider Willen im Insolvenz-Boot eines Mandanten sitzen könnte. Ein komplexes Thema, wie das B&P-Gespräch mit dem Insolvenzfachmann und Rechtsanwalt Dr. Mathias Schlichting (63) und dem Steuerberater Herbert Schulte (59) zeigt, beide von der Kanzlei Dierkes Partner.

Aussetzung der Insolvenzmeldepflicht

Als sich nach dem Lockdown Mitte März abzeichnete, dass Unternehmen in Schieflage geraten könnten, handelte die Politik blitzschnell und sorgte mit dem Covid-I-Gesetz für eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht – allerdings mit dem Fokus auf drohende Zahlungsunfähigkeit. Das hieß: Unternehmen, die ausschließlich aufgrund der Pandemie plötzlich keine Einnahmen mehr hatten und folglich ihre Rechnungen nicht bezahlen konnten, brauchten keine Insolvenz anzumelden – das galt allerdings nicht, wenn sowieso keine Aussicht auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestand. Die Frist endete am 30. September. Allerdings wurde bereits am 25. September das Covid-II-Änderungs-Gesetz auf den Weg gebracht, das nun den Fokus auf Überschuldung lenkte. Will heißen: Unternehmen, die aufgrund der Pandemie überschuldet sind, müssen bis zum 31. Dezember 2020 keine Insolvenz anmelden. Konkret wird die Fortführungsprognose wegen der Covid-Ungewissheiten ausgesetzt, die sich normalerweise an die Überschuldungsprüfung anschließt. Es zählt nur die Frage, ob der Mandant noch zahlungsfähig ist. Zahlungsunfähigkeit führt gleichwohl zur Antragspflicht und bei Nichtbeachtung zur Insolvenzverschleppung.

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Dr. Mathias Schlichting: „Wir erwarten, dass die Kurve der Insolvenzanträge sehr stark ansteigen wird. Zurzeit ist es aber noch recht ruhig – ich denke mal, das dürfte die Ruhe vor dem Sturm sein.“ Das schnelle Handeln der Politik ist zwar vielfach gelobt worden und war möglicherweise auch alternativlos, doch der Jurist lenkt den Blick auf die Achillesferse der Notgesetzgebung: Demnach hat insbesondere das Covid-I-Gesetz den Tatbestand der Insolvenzverschleppung begünstigt, weil bereits vor der Pandemie angeschlagene Unternehmen – unberechtigt – unter das Corona-Schutzdach flüchteten und zudem staatliche Fördermaßnahmen in Anspruch genommen haben. Sogenannte „Zombie-Unternehmen“, die sich dank der Nullzinsphase vielleicht schon seit Jahren mit billigem Geld über Wasser hielten und nun im Zuge der Pandemie auf Staats-Stütze setzten, könnten nun nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Steuerberater in arge Bedrängnis bringen. Schlichting: „Die betroffenen Unternehmer und ihre Berater sitzen auf einer Zeitbombe.“

Der juristische SuperGAU

Wenn so ein Unternehmen nach dem Jahreswechsel in die Insolvenz rutscht, weil der finanzielle Spielraum endgültig ausgereizt ist, nimmt sich ein gerichtlich bestellter Insolvenzverwalter der Sache an und checkt, ob die Bedingungen für eine Befreiung von der Insolvenz­antragspflicht überhaupt gegeben waren, denn die gilt nur, wenn die Pandemie ursächlich für die Schieflage ist. War das Unternehmen bereits vor der Pandemie klamm und am 31. Dezember 2019 überschuldet, tritt der Tatbestand der Insolvenzverschleppung ein. Das heißt: Ein geschäftsführender Gesellschafter haftet nun auch persönlich. Und der Steuerberater, der bereits Ende 2019 die Schieflage hätte erkennen müssen, macht sich gegebenenfalls der Beihilfe zur Insolvenz­verschleppung schuldig – ein juristischer Super-GAU.

Schlichting: „Wenn dann noch staatliche Fördermittel, beispielsweise KfW-Kredite, in Anspruch genommen wurden, und auf das Lesen des Kleingedruckten verzichtet wurde, wird es eng. Dort steht beispielsweise, dass das Gehalt des Geschäftsführers auf
150 000 Euro gedeckelt werden muss, was häufig vernachlässigt wird. Und: Gewinne dürfen nicht abgeschöpft werden – sie müssen ins Unternehmen fließen. Wer das nicht so genau genommen hat, bekommt echte Probleme und wird in Regress genommen. Das gilt dann auch gleich für den Steuerberater, denn der Staat geht davon aus, dass der die Gesetze kennt und entsprechend beraten muss.“

Pleitewelle ab Januar 2021?

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Herbert Schulte: „Wer Gewinne ausschüttet, muss eine Steuererklärung machen. Schon sitzt der Steuerberater im selben Boot wie sein Mandant. Und dann eben auch vor Gericht.“ Die Beihilfe zur Insolvenzverschleppung führe zur „Anfechtung vereinnahmter Gebühren“, zur Haftung und gegebenenfalls zu einem strafrechtlichen Verfahren.

Inwieweit die drohende Insolvenz-Welle am Ende zu einer nennenswerten Zahl von gerichtsrelevanten Verfahren führen wird, weil marode Unternehmen ihre Rettung unter dem Covid-Schutzschirm suchten, darüber kann nur spekuliert werden. Dr. Mathias Schlichting hat in seinem Berufsleben zwar Insolvenzverfahren im vierstelligen Bereich verwaltet und begleitet, die aktuelle Situation ist aber auch für ihn nur schwer einschätzbar. Er rechnet damit, dass die Pleitewelle vor allem in den Bereichen Gastronomie/Hotellerie, Tourismus/Event, Freiberufler/Kultur sowie im Bereich des kleinteiligen Einzelhandels (Boutiquen, Läden) sowie generell vieler Zulieferer sichtbar werden wird: „Das sind die gefährdeten Branchen.“

Fazit: Die drohende Insolvenz-Welle trifft nicht nur die betroffenen Unternehmen, sondern möglicherweise auch die Zunft der Anwälte und Steuerberater, die es versäumt haben, ihre Beratungsarbeit bereits vor dem Jahreswechsel 2019/20 wasserdicht zu dokumentieren. Schulte: „Die rechtlichen Folgen sind unabsehbar und das Haftungsrisiko für beide Berufsgruppen ist immens – unter anderem auch, weil eine Mandatsbeendigung zur Unzeit nicht so einfach möglich ist. Sowohl er als auch Rechtsanwalt Dr. Mathias Schlichting rechnen damit, dass die heiße Phase der Insolvenzen im Januar und Februar 2021 kommen wird – wenn die Politik bis dahin nicht das Covid-III-Gesetz auflegt und den Ausnahmezustand bis ins Jahr 2021 hinein verlängert. wb

>> Web: www.dierkes-partner.de