Zusatzstoffe in Lebensmitteln gehören zum Dauerstreitthema zwischen Industrie und Verbraucherschützern. Der Bremerhavener Tiefkühlkosthersteller Frosta hat vollständig darauf verzichtet – und kocht trotzdem im industriellen Maßstab.
Als die neue Fertigungsstraße für Fischfrikadellen anläuft, ist Frank Hoogestraat noch etwas angespannt. 240 kg Rohmasse warten im Sammelbehälter oben auf der Maschine darauf, zu Handteller großen Klopsen gepresst zu werden. Die ersten Exemplare, die über das Gitterrost-Laufband herauskommen, sind von der perfekten Form noch etwas entfernt. Gelegentlich tropft Brät durch das Gitterrost, vielleicht ist die Rohmasse zu feucht oder zu warm. Zu Hause würde der Hausmann oder die Hausfrau jetzt zu Weizenoder Paniermehl greifen. In der klassischen Nahrungsmittelindustrie setzen die Lebensmitteltechnologen in solchen Situationen auf Mittelchen wie „Distärke- Glycerin“ oder „Hydroxypropylstärke“, die auf der Verpackung – wenn überhaupt – im Kleingedruckten verschämt als „Bindemittel“ deklariert werden.
Chemische Helfer sind tabu
Für Frank Hoogestraat sind diese Helfer tabu. Er leitet die Produktion des Bremerhavener Tiefkühlkostherstellers Frosta. Der hat vor 16 Jahren alle in der Branche sonst üblichen Zusatzstoffe aus seinen Artikeln verbannt. „Aus einer feuchten Mischung geformte Produkte sind immer eine Herausforderung“, sagt Hoogestraat. Früher hätte er sie mit chemischer Hilfe bewältigt. „Heute muss ich mit dem auskommen, was ganz normal zur Rezeptur gehört.“ Monatelang haben die Produktentwickler und das Produktionsteam an den „Küsten-Frikadellen“ getüftelt, die neu im Programm sind. Jetzt beginnt die Fertigung.
Zusatzstoffe sind ein Dauerthema in der Lebensmittelindustrie, über das die Branche nicht gerne spricht. Auch wenn die Industrie in der Werbung gerne das Bild einer natürlichen Welt zeichnet, nutzt sie in der Großfertigung alle Möglichkeiten der Lebensmitteltechnologie und -chemie, um Produktionsprozesse zu vereinfachen, Kosten zu senken und Geschmackserlebnisse zu designen. Selbst die auf Joghurt deklarierten „natürlichen Aromen“ sind mit Vorsicht zu genießen. „Auch Aromen, die aus Sägespänen hergestellt werden“, erläutert Frosta-Vorstand Felix Ahlers, „dürfen natürlich genannt werden, weil Holz ein Naturprodukt ist.“
Verzicht auf Konservierungsstoffe
Als er in das Unternehmen eintrat, das mehrheitlich im Besitz seiner Familie ist, fragte er sich: „Warum brauchen wir als Tiefkühlkosthersteller überhaupt Zusatzstoffe? Tiefkühlen reicht für die Haltbarkeit völlig aus.“ Was mit dem Verzicht auf Konservierungsstoffe begann, weitete sich schnell aus. 2003 entschied sich Frosta zum Verzicht auf alle Zusatzstoffe. Mit zunächst katastrophalen Folgen: Der Umsatz brach ein, die Kosten liefen davon. Fehler im Marketing trieben das Unternehmen in die rote Zahlen. Dennoch entschloss sich Frosta zum Durchhalten – heute ist der Hersteller mit seiner Eigenmarke Marktführer.
Abgesehen von diesen wirtschaftlichen Turbulenzen brachte die Umstellung für Frank Hoogestraat jede Menge fachliche Herausforderungen mit sich. Zusätze werden in der Lebensmittelindustrie auch als technische Hilfsmittel verwendet. „So müssen also auch Hersteller genau hinschauen, was in den eingekauften Zutaten enthalten ist.“ Der Teufel steckt im Detail: „Kochsalz werden Trennmittel zugesetzt, damit es rieselfähig bleibt.“ Gewürze haben ebenfalls Zusätze, um sie haltbar zu machen. Auf der Produktpackung steht lediglich „Gewürzmischung“. Die Rieselhilfe im Salz wird nirgendwo vermerkt. „Bevor die Produktion umgestellt werden konnte, mussten wir erst einmal auf die mühsame Suche nach all diesen Details gehen“, erinnert sich der Produktionsleiter. Die Produktion wurde dadurch nicht einfacher: „Gelegentlich braucht man einen Erfinder, um die Produktionsprozesse so zu verändern, dass sie ohne technische Zusätze auskommen“, sagt Hoogestraat. Pfeffer mahlen die Bremerhavener in ihrer „Gewürzküche“ klassisch selbst aus Pfefferkörnern – sie rüsteten eine industrielle Kaffeemühle um.
Halb Küche, halb Labor
Die entscheidenden Weichenstellungen für eine Produktion ohne technische oder sonstige Zusatzstoffe erfolgen in einem kleinen Gebäude gleich neben der Fertigungshalle. Auf der einen Seite sieht es dort aus wie in einer typischen Haushaltsküche, nur das dort gleich ein halbes Dutzend Elektroherde steht. Auf der anderen Seite wirkt der Raum wie ein Labor. Pipetten, Glasschalen, elektronische Feinwaagen und Messbecher unterstreichen den wissenschaftlichen Charakter. In einem weiteren Bereich steht ein erhöhter, großer Tisch, darauf zwei Teller und rundherum eine Gruppe Produktentwickler. „Das ist unser Verkostertisch, an dem wir neue Produkte probieren“, erläutert Hoogestraat.
In der Produktentwicklung arbeiten Köche und Lebensmitteltechnologen Hand in Hand – allerdings in einer anderen Rollenverteilung als vor dem „Reinheitsgebot“. „Früher haben die Technologen entschieden, was an Zusatzstoffen notwendig ist“, erinnert sich Hoogestraat: „Heute kontrollieren sie, dass keine versteckten Zusatzstoffe enthalten sind.“ In dieser Abteilung wurden die Grundlagen dafür geschaffen, dass die Fischfrikadellen nicht durch das Gitterrost der Formmaschine tropfen. „Wenn man keine Zusatzstoffe nutzen darf, lassen sich die Produkteigenschaften nur über die Rezeptur steuern“, erläutert Hoogestraat. Der Fischanteil ist fest definiert, aber die übrigen Zutaten wie Kartoffeln, Gurken oder Zwiebeln können in Nuancen variiert werden: „Das ist unser Spielraum.“
Die Mischung für die „Küsten-Frikadellen“ passt offenbar, das zeigt sich bei der Rückkehr in die Produktion. Die Frikadellen laufen mittlerweile formvollendet übers Band. Mit einer klassischen Großküche hat die Produktionshalle kaum etwas gemeinsam, es riecht nicht einmal nach Essen. Obwohl hier Tiefkühlkost produziert wird, ist es in der Halle erstaunlich warm. „Die Temperatur an den Arbeitsplätzen liegt bei plus 18 Grad Celsius und damit in einem für die Beschäftigten akzeptablen Bereich“, sagt Hoogestraat. Die überwiegend tiefgekühlten Zutaten können diese Außentemperaturen durchaus vertragen, Wärme ist für den Produktionsprozess teilweise sogar notwendig: „Vieles lässt sich am besten verarbeiten, wenn es bis zu einem bestimmten Punkt angetaut ist“, erläutert der Produktionsleiter, die Qualität leide nicht darunter.
Im Mischraum stehen die Zutaten bereits kiloweise abgewogen in großen Edelstahlbehältern bereit. Nur die Blöcke mit dem gefrosteten Nordsee-Seelachs werden erst im letzten Moment von einem großen Schredder in mundgerechte Stücke zerkleinert. Alles wird dann in einer großen Trommelanlage gemischt und von dort zur Frikadellen-Fertigungsstraße gebracht. Die Produktion von Fertiggerichten erfolgt prinzipiell ähnlich in großen Mischbehältern mit bis zu 1,6 Tonnen Fassungsvermögen. „Die Wertbestandteile wie Lachs oder Shrimps werden extra abgewogen und gezielt zugegeben“, erklärt der Produktionsleiter. Die Mischstationen sind dafür mit Spezialwaagen mit bis zu 24 Feldern für entsprechend viele verschiedene Zutaten ausgestattet.
Auch bei den Fertiggerichten spielen Temperaturfragen eine wesentliche Rolle: Nudeln, Gemüse, Fleisch haben unterschiedliche Zubereitungszeiten. Der Kunde erhitzt aber alles gleichzeitig für den auf der Packung empfohlenen Zeitraum: „Jede einzelne Zutat muss deshalb exakt bis auf einen bestimmten Garpunkt vorgekocht sein“, erläutert Hoogestraat. Soßen werden im Laufe des Produktionsprozesses durch ein spezielles Verfahren aufgebracht: Mit Hilfe von Stickstoff werden die Gerichte in kürzester Zeit tiefgekühlt und dann erst die Soße aufgespritzt: „Die Kälteenergie der festen Bestandteile hält die Soße fest“, beschreibt Hoogestraat den Vorgang.
Zutaten kommen aus aller Welt
Die meisten Zutaten kommen aus aller Welt. Frosta benennt das ganz offen. Vor knapp vier Jahren installierte das Unternehmen an der Produktionslinie ein System zum „Flexible Printing“. Über eine SAP-Anwendung werden die Herkunftsdaten jeder einzelnen Zutat chargengenau bis ans Band übertragen und dann mit einem Thermodrucker auf ein eigens frei gehaltenes Feld auf der Verpackung gedruckt. Bei den Fischfrikadellen erfahren die Kunden sogar, mit welchem Fangschiff der Cuxhavener Kutterfisch-Genossenschaft der Seelachs an Land gebracht wurde.
Die Deklaration von Zutaten und Herkünften ist neben dem Reinheitsgebot eines der Kernthemen des Unternehmens. Vorstand Ahlers erwartet von seinen Wettbewerbern nicht, dass sie auf Zusatzstoffe verzichten oder per Gesetz dazu verpflichtet würden: „Aber für den Verbraucher muss erkennbar sein, was in seinem Lebensmittel enthalten ist und woher die Zutaten kommen“, fordert er seit Jahren. Die Argumente der Industrie, eine Kennzeichnungspflicht sei zu teuer und koste Arbeitsplätze, lässt er nicht gelten: „Wir sind der beste Beweis des Gegenteils.“ Obwohl Frosta wie die gesamte Branche durch steigende Rohwarenpreise und labile Umsätze gebeutelt ist, stellt das Unternehmen derzeit zusätzliche Mitarbeiter ein.
Freiwillige Leistung
Zu der von Ahlers geforderten Deklarationspflicht gehört auch eine klare Information, wieviel Zucker oder Fett ein Produkt enthält. Die von Bundesernährungsministerin Julia Klöckner als freiwillige Leistung vorgeschlagene „Ampelkennzeichnung“ bestimmter Stoffe wie Zucker hält Ahlers für irreführend; unter dem Begriff Nutricare können Bestandteile ohne Details zusammengefasst werden. „Die Hersteller können mit Inhaltsstoffen manipulieren und über die Ampel ein Produkt gesünder darstellen, als es tatsächlich ist“, kritisiert Ahlers. Im selben Atemzug zeigt sich der Unternehmer über eine der jüngsten Aktionen der Ministerin verwundert: Klöckner hat gerade 1,6 Millionen Euro für ein Industrie-Forschungsprojekt zur Entwicklung von kalorienfreiem Zucker bewilligt: „Es ist absurd, wenn der Staat Subventionen an die Zusatzstoffindustrie vergibt, damit sie einen Kunstzucker entwickelt, der die Verbraucher täuschen soll.“
5000 Küsten-Frikadellen pro Stunde
Unbeirrt von solchen politischen Debatten hat die Produktion der „Küsten-Frikadelle“ Fahrt aufgenommen. „Geht doch“, freut sich Hoogestraat. Ab jetzt läuft die Anlage im Normalbetrieb und produziert 5000 Frikadellen – pro Stunde. Jetzt beginnt die Routine für den Betrieb: An der nächsten Station werden die Klopse kurz frittiert, damit sie Festigkeit und Farbe annehmen. Dann werden sie im Kühltunnel in etwa 25 Minuten auf -40°C gebracht. Anschließend durchlaufen sie Qualitätskontrolle, Verpackung und noch eine weitere Kontrolle, bevor sie alsbald zum Kunden transportiert werden. Das könnte stundenlang so weitergehen. „Nein,“ lacht Hoogestraat. „Wir produzieren nur so viel, wie in einem bestimmten Zeitraum abgesetzt werden kann.“ In zwei oder drei Tagen oder vielleicht auch früher ist dann die nächste Charge dran. Und wieder wird Hoogestraat beim Anlaufen der Produktion noch etwas angespannt sein, ob alles gut läuft.
(Text: Wolfgang Heumer)