Klimaschutz hat für viele Bürger einen weitaus größeren Stellenwert, als die Politik bislang wahrhaben wollte. Diese Erkenntnis aus den Ergebnissen der jüngsten Europawahl lässt die Offshore-Windenergiebranche auf ein Einsehen in Berlin und eine Rückkehr zu besseren Rahmenbedingungen in Deutschland für eine weltweit gefragte Technologie hoffen.
Die Zukunft beginnt kurz hinter dem Horizont. Zumindest von Land aus ist aber kaum zu erkennen, dass weit draußen in der Deutschen Bucht längst ein neues Zeitalter der Energiegewinnung begonnen hat. Knapp 25 Kilometer nördlich von Helgoland steht beispielsweise ein Kraftwerk, das rechnerisch die komplette Stadt Bremen mit ihren rund 360.000 Haushalten emissionsfrei rund um die Uhr mit Strom versorgen kann. Mit ihren insgesamt 80 Windenergieanlagen beweisen die Windparks Meerwind Süd und Meerwind Ost, kurz Meerwind Süd|Ost: „Die Nutzung der Offshore-Windenergie ist für die Energiewende unverzichtbar“, sagt Jens Assheuer, Geschäftsführer der Betreibergesellschaft des Parks, der WindMW GmbH.
Das Potenzial der Offshore Windenergie hat sich bis nach China herumgesprochen: Seit 2016 ist mit China Three Gorges (CTG) der weltweit größte Betreiber erneuerbarer Energien der Hauptgesellschafter von WindMW. Ein mittelständisches Unternehmen mit knapp 100 Beschäftigten, das sich voll auf den Betrieb des zweiteiligen Meerwind-Parks konzentriert. Im ersten Moment wirkt es etwas überraschend, dass sich ein großer Investor wie CTG mit klaren Expansionsabsichten in einer solchen Firma engagiert. „Man muss die Perspektive nur ein kleines bisschen verändern, dann wird die wahre Dimension deutlich“, sagt Jens Assheuer. „Wir sind ein klassischer Kraftwerksbetreiber. So wie es auch an Land üblich ist, haben wir ein einzelnes Großkraftwerk, auf das wir uns konzentrieren.“
Kein Klimaschutz ohne Offshore-Windkraft
In der Anlage selbst allerdings steckt die Besonderheit: Meerwind Süd|Ost setzt mit der Nutzung der Offshore-Windkraft auf eine hierzulande maßgeblich entwickelte Technologie, die allen politischen Widerständen in Deutschland zum Trotz weltweit zunehmend gefragt ist. „Wer den Klimaschutz will, kommt an der Offshore-Windkraft nicht vorbei“, ist Assheuer überzeugt. Offensichtlich ist dies auch dem chinesischen Anteilseigner bewusst: CGT investiert weltweit in erneuerbare Energien. Insbesondere im eigenen Land wird die Offshore-Windkraft zunehmend zu einem wichtigen Thema: „Und damit wird der Austausch von Erfahrungen im Betrieb von Windparks sehr interessant“, sagt Assheuer.
Die Wurzeln von WindMW reichen bis tief in die Geschichte der Windkraftnutzung in Deutschland zurück. Der Ursprung ist die Windland Energieerzeugungs GmbH, die nach wie vor 20 Prozent der Anteile an WindMW hält. Windland wurde bereits 1990 gegründet und war damit einer der ersten Windparkentwickler überhaupt in Deutschland. Elf Jahre später begann Windland mit den ersten Untersuchungen am heutigen Standort. 2007 bekam die zwischenzeitlich gegründete WindMW die Baugenehmigungen. Allerdings wurden sie erst 2010 nach einer abgewiesenen Klage gegen das Projekt rechtskräftig. 2011 begannen die Arbeiten an Land an den technischen Einrichtungen, 2012 startete deren Installation auf hoher See. Im April 2014 war Meerwind betriebsbereit und erfüllt mit 4.500 Volllaststunden pro Jahr zuverlässig alle Erwartungen. Eindeutig widerlegt das Meerwind-Projekt die Skeptiker, die Zweifel an der Verfügbarkeit der Offshore-Windenergie haben: „Es gibt nur ganz selten Tage, an denen Flaute herrscht, und die Technik hat sich als außerordentlich zuverlässig bewährt“, betont Assheuer.
Gegenüber Gas-, Kohle- oder Kernkraftwerken an Land haben Windparks einen entscheidenden Vorteil: „Selbst wenn eine oder sogar mehrere Turbinen eine Störung haben, produziert der Park noch Strom“, erläutert Assheuer: „Bei einer größeren Störung an einer herkömmlichen Anlage muss das ganze Kraftwerk vom Netz genommen werden.“ So summiert sich die Verfügbarkeit der beiden Meerwind-Teile auf 96 bis 98,5 Prozent: „Eine höhere Verfügbarkeit ist praktisch nicht machbar“, sagt der Geschäftsführer. Für WindMW war es von Anfang an klar, dass das Unternehmen nach der Projekt und Bauphase auch den Betrieb von Meerwind übernehmen werde. Das Know-how aus dem Bau zahlt sich jetzt aus: Das WindMW-Team kennt die Anlagen im Detail und muss im Fall einer Störung nicht lange nach einer Lösung suchen. Störungen gehören aber zu den Ausnahmen.
Bewährte Technologie
WindMW beteiligte sich bewusst nicht an dem technologischen Wettrennen um immer größere Windkraftwerke. „Mit den 3,6-Megawatt-Turbinen haben wir uns von Anfang an für eine bewährte Technologie entschieden, die für den Fall der Fälle auch eine gute Verfügbarkeit der Ersatzteile sichert“, betont Assheuer. Das Wartungs- und Servicekonzept, das WindMW selbst entwickelt hat, ist einer der entscheidenden Faktoren, die Kostenseite des Windparkbetriebes zu beeinflussen. „Man muss genau planen, was man wann macht und wie man seine Leute gezielt einsetzt“, sagt der Geschäftsführer. Die Anlagen sind nur per Schiff zu erreichen; bevor sie mit der Arbeit beginnen, müssen die Techniker die Türme erklimmen – das kostet Zeit. „In unserer Branche gibt es kein ,mal eben‘“, fasst Assheuer die Herausforderung zusammen.
Schwerpunkt Wasserkraft
Neben den wirtschaftlichen Aspekten des profitablen Windparks ist es dieses Know-how, das die chinesischen Hauptanteilseigner interessiert. „Wir reden hier nicht über das Kopieren von Technologien, um unserer Industrie auf dem Weltmarkt Konkurrenz zu machen“, unterstreicht Assheuer: „Sie möchten von uns für ihre eigenen Projekte lernen.“ CTG wurde 1993 als staatlicher Energieversorger mit dem Schwerpunkt Wasserkraft in der Volksrepublik China gegründet. Mittlerweile ist CTG der größte Betreiber von Wasserkraftwerken weltweit und setzt nun verstärkt auf die Nutzung von Windund Solarenergie. Insbesondere in der Nutzung der Offshore-Windenergie will CTG weltweit führend werden. Bei WindMW sammeln die Chinesen Erfahrungen im Betrieb von Offshore-Windparks, partizipieren aber auch von dem Know-how aus der Planungs- und Bauphase für Meerwind.
Auch für die Energiewende und den Klimaschutz ist Offshore-Windenergie unverzichtbar.
Jens Assheuer, Geschäftsführer der WindMW GmbH
Letztlich könnte der Technologiestandort Deutschland von diesem Interesse profitieren; bei WindMW lernt CTG bewährte und richtungsweisende Technologie kennen. Die Märkte, die die Chinesen in mittlerweile 40 Ländern weltweit im Blick haben, liegen für die deutsche Industrie genauso dicht hinter dem Horizont wie Meerwind Süd|Ost hinter Helgoland. „Auch wenn die fatale Entscheidung in Berlin, den Ausbau der Offshore-Windkraft zu deckeln, mittlerweile sehr viele Arbeitsplätze gekostet hat, ist es für eine Umkehr nicht zu spät“, ist Assheuer überzeugt. Und das nicht nur für den technologischen Erfolg. „Auch für die Energiewende und den Klimaschutz ist Offshore-Windenergie unverzichtbar“, bekräftigt Assheuer und verweist auf die Klimabilanz seines Windparks: „Wir sparen jährlich rund eine Million Tonnen Kohlendioxid ein.“ Hinter dem Horizont geht es eben weiter.