Wie finde ich Fachkräfte? Und wie halte ich sie in meinem Unternehmen? Diese Fragen bewegen die Wirtschaft im Nordwesten derzeit so stark wie kaum ein anderes Thema. Antworten gab ein hochkarätig besetztes Business Forum beim diesjährigen Wirtschaftsdialog der BIS Bremerhaven.
Identität eines Unternehmens
Der Schlüssel liegt in den Unternehmen selbst: Die Identität eines Unternehmens und die in ihm gelebte Kultur sind entscheidend, um Fachkräfte für sich zu gewinnen – oder eben nicht. Mehr als 170 Entscheider aus ansässigen und überregionalen Unternehmen nahmen an der Netzwerkveranstaltung teil, die im Rahmen des Seestadtfestes von der Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung BIS organisiert wurde. Die Veranstaltung griff mit dem Thema Employer Branding ein Anliegen auf, das die Wirtschaft am Standort bewegt: In einer aktuellen Umfrage der BIS unter mehr als 500 ansässigen Unternehmen beantworteten 78 Prozent die Frage nach dem aktuell wichtigsten Thema mit dem „Finden und Halten von Fachkräften“.
Zur Eröffnung erläuterte Heike Probst von der Deutschen Employer Branding Akademie (DEBA), wie es Arbeitgebern gelingen kann, durch die Bildung einer Arbeitgebermarke zukunftsfähig zu werden. Die Psychologin und Personalmanagerin machte die Dringlichkeit des Themas gleich zu Beginn deutlich: „2030 werden Menschen, die heute noch voll im Arbeitsleben stehen, erdrutschartig in den Ruhestand gehen. Der Fachkräftemangel geht mit dem demographischen Wandel einher und ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.“ Gleichzeitig gab Probst den Gästen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung Werkzeuge für ein erfolgreiches Employer Branding an die Hand. „Identität und Kultur sind die Schlüsselfaktoren. Arbeitgeber, die dort ansetzen, bleiben zukunftsfähig. Geben Sie Ihren Mitarbeitern die Möglichkeit, sich mit gelebten Werten zu identifizieren, dann können Sie auch Veränderungsprozesse meistern und einen kulturellen Wandel im Unternehmen umsetzen. Denn Kultur ist die einzige Firewall gegen Headhunter!“, gab Probst den Teilnehmern mit auf den Weg.
Dass Bremerhaven mit seiner maritimen Atmosphäre ein Pfund hat, mit dem es wuchern kann, das hatte der Oberbürgermeister der Seestadt Bremerhaven, Melf Grantz, bereits zum Auftakt des Abends deutlich gemacht. „Bremerhaven ist die größte Stadt an der deutschen Nordseeküste. Hier lässt es sich leben: Kurze Wege, eine offene Stadtgesellschaft, adäquate Löhne und attraktiver Wohnraum. Daraus können wir Rundum-sorglos-Pakete für Familien schnüren“, so der Oberbürgermeister im Gespräch mit der Moderatorin des Wirtschaftsdialogs, der Karriere- und Kommunikationstrainerin Anja Mahlstedt. Dennoch müsse man sich umstellen. „Die Fachkräfte von morgen wollen eine ganz andere Work-Life-Balance“, mahnte Grantz. Gemeinsam mit der BIS und der Handelskammer Bremen, IHK für Bremen und Bremerhaven, hatte der Oberbürgermeister die Teilnehmer des Wirtschaftsdialoges zum Empfang in das Seefischkochstudio im Bremerhavener Fischereihafen geladen. „Die Markenbildung für Unternehmen und Standort muss Hand in Hand gehen“, forderte der Antepräses der Kammer, Harald Emigholz. „Am besten sind wir alle, wenn wir authentisch sind. Das Image muss stimmen, am Standort wie im Unternehmen. Das macht man mal nicht eben so, dafür braucht es eine langfristige Strategie.“
Attraktiver Standort
Diese verfolge Bremerhaven bereits konsequent, bekräftigte BIS-Geschäftsführer Nils Schnorrenberger. „Unsere Aufgabe als Standortentwickler ist es, Bremerhaven so aufzustellen, dass die Stadt auch künftig für Fachkräfte attraktiv bleibt. Ich sehe uns da auf einem sehr guten Weg: Die Hochschule wächst, wir entwickeln ein nachhaltiges Gewerbegebiet für den wachsenden Sektor ‚Green Economy‘, die Kreativ- und Start-up-Szene fühlt sich zunehmend wohl hier. Gleichzeitig bauen wir unsere führende Position auf den Feldern Logistik und Lebensmittelproduktion und -verarbeitung weiter aus und profilieren uns als attraktiver Standort für Tagungen und Kongresse. Das alles tragen wir als Botschafter mit unserem Team nach außen.“ Dazu dienen nicht zuletzt Formate wie der Wirtschaftsdialog. Die Veranstaltung wird mit Mitteln des Landes Bremen und des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) gefördert. Zudem waren mehr als 20 Partner und Sponsoren eingeladen, an dem maritimen Businesswochenende gemeinsam mit ihren Geschäftspartnern teilzunehmen. Denn das von der BIS entwickelte Konzept lässt ganz bewusst Raum zum informellen Austausch in maritimer Atmosphäre. Zum zweiten Mal unterstützte die AOK Bremen Bremerhaven als Partner die Veranstaltung: „Für uns ist das ein Bekenntnis zur Region“, so Norbert Suske als Vertreter der Krankenkasse, die rund 12.000 Arbeitgeber im Bundesland betreut. „2018 hatten wir Geschäftspartner des SAP-Dienstleisters abat motiviert, am Wirtschaftsdialog teilzunehmen. Sie waren von dem Format so überzeugt, dass abat in diesem Jahr erstmals selbst als Sponsor dabei ist. Gleichzeitig sind wir froh, dass das Thema Fachkräftegewinnung aufgegriffen wurde, denn das betrifft uns hier alle massiv“, so Suske.
Cultural Fit entscheidend
Der zweite Tag des Business Forums mit hochwertigem Input, Best-Practice-Beispielen und Handlungsempfehlungen für die erfolgreiche Gewinnung von Fachkräften. In einer komprimierten Vortragsreihe wurde deutlich, dass es keinesfalls um die Anzahl der Bewerbungen, sondern vielmehr um die passgenaue Rekrutierung, um den sogenannten „Cultural fit“, geht. Den Falschen einzustellen, koste ein Unternehmen dreimal mehr, als die entsprechende Stelle unbesetzt zu lassen. Darauf verwies auch Bianca Burmester, Recruiting-Expertin aus Düsseldorf. Die Geschäftsführerin der Online-Plattform foodjobs.de wartete mit konkreten Tipps für die gelungene Rekrutierung auf. Von der Karrierewebsite bis zur Kandidatensuche über Social Media und dem erfolgreichen Vorstellungsgespräch erläuterte sie, wie der effektive Einstellungsprozess heute ablaufen kann. An konkreten Beispielen aus der Praxis wurde deutlich, was wirkungsvolle Stellenanzeigen auszeichnet. „Seien Sie authentisch, schnell und machen Sie es den Bewerbern so einfach wie möglich“, empfahl Burmester.
Keine Angst vor innovativen Strategien
Schnell sein im Wettbewerb um die passenden Kandidaten: Das ist auch Teil der Personalmarketing- Strategie des Weltmarktführers im Bereich Keks und Schokolade, Mondelez international. Michelle Rödding, Recruitment Managerin beim Milka-Produzenten, berichtete über einen neuen, innovativen Ansatz zur Personalgewinnung. Bei Mondelez schaue man zunehmend über den zentraleuropäischen Tellerrand und setze auf kreative Formate wie Meetups an Universitäten. „Haben Sie weniger Angst“, riet die international erfahrene Personalerin. „Wir brauchen mehr Partnerschaften und Vernetzung. Wenn ein Kandidat nicht in unsere Kultur passt, empfehle ich ihn trotzdem gerne weiter“, so Rödding.
Auch der Bremerhavener Lebensmittelproduzent FRoSTA gehört zu den erfolgreichen Marken in Europa. Julia Römermann ist Ausbildungsleiterin und Teamleiterin Talent Acquisition & Management beim Tiefkühlkosthersteller. Im Rahmen des Wirtschaftsdialoges sprach sie über die konzernweite, neue Ausrichtung des HR-Bereiches. „Wir sind bereits ein attraktiver und beliebter Arbeitgeber und haben im Grunde wenig Fluktuation. Aber das reicht künftig nicht mehr. Deshalb stand ein intensiver Employer Branding-Prozess für uns am Anfang eines neuen Recruitings“, berichtete sie. Anschließend sei es darum gegangen, die Zielgruppe genau zu analysieren: Welche Kandidaten suchen wir? Was ist ihnen wichtig? Und was können wir anbieten? Diese Fragen müsse jedes Unternehmen auf dem Weg zu einer erfolgreichen Recruiting-Strategie zunächst beantworten. Eine zentrale Rolle spiele bei FRoSTA die Karrierewebsite: „Sie gibt authentische Einblicke. Dabei setzen wir auf Storytelling und lassen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Wort kommen.“ So sei es gelungen, das neukonzipierte Trainee-Programm „Next Generation“ mit passenden Talenten zu besetzen.
In größeren Dimensionen arbeitet das Recruiting-Team der Deutsche Bahn AG. Fabian Wylenzek ist im Konzern verantwortlich für die Personalgewinnung in der Region Nord. Sein Beitrag „Talent Acquisition@DB: Wie 600 Pioniere in einem Jahr eine Kleinstadt rekrutieren und dabei ein Unternehmen verändern“ gab einen beeindruckenden Blick hinter die Kulissen: 20.000 Einstellungen im Jahr, 500 verschiedene Berufe, 8,7 Millionen Besuche auf der Karriereseite, 13.600 Follower auf Instagram. Bei der Deutschen Bahn ist die Personalgewinnung bereits zentraler Bestandteil der Konzernstrategie. „Wir sind auf dem Weg, der Top-Arbeitgeber in Deutschland zu werden“, so Wylenzek in Bremerhaven. Dafür brauche es eine klare Positionierung, aber auch erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im HR-Bereich: „Recruiting ist keine Einsteigerposition“, warnte er die Zuhörer. „Bei uns muss jeder Recruiter die konzerneigene Akademie durchlaufen und sich auf unterschiedlichen Ebenen qualifizieren.“ Wylenzeks Vortrag machte deutlich, wohin das Personalmanagement der Zukunft gehen wird: Neben Virtual Reality setzt die Bahn bereits Künstliche Intelligenz, eigens entwickelte Algorithmen und Apps im HR-Bereich ein. Gleichzeitig bediene man sich eines Personalmarketing-Mix, der von Live-Events und Einstellungstagen bis zum Digital Dinner für Akademiker alles beinhalten müsse, so der Personalmanager aus Hamburg.
Überraschend neu und anders
Zum Abschluss zeigte sich BIS-Geschäftsführer Nils Schnorrenberger sehr zufrieden mit der zweitägigen Veranstaltung. „Für die kleinen und mittleren Unternehmen ist es eine Herausforderung, beim Ringen um die Fachkräfte mitzuhalten. Da muss schon das ganze Paket stimmen, das heißt, das Lebens- und Wohnumfeld muss sich in gleichem Maße entwickeln wie die Unternehmen. Da geht unsere Aufgabe über klassische Wirtschaftsförderung hinaus. Aber ich lade alle Beteiligten hier am Standort zur Zusammenarbeit ein. Lassen Sie uns gemeinsam weiter Lust auf Bremerhaven machen!“