Wissenschaft im Dienst der Wirtschaft ist kein Privileg öffentlicher Institute und Institutionen. Drei Beispiele aus Bremerhaven zeigen, dass Forschen auch eine Aufgabe für private Unternehmen sein kann.
Nicholas Balaresque hat einen windigen Job – an seinem Arbeitsplatz bewegt sich die Luft mit bis zu 360 km/h. Die Ergebnisse, die der Diplom-Ingenieur dabei erzielt, sind beileibe nicht windig, sondern eine wichtige Grundlage für die Nutzung der Windenergie. Dr. Regina Usbeck taucht in die Tiefen der Ozeane. Natürlich nicht persönlich – mit einer Art überdimensionalem Fieberthermometer liefert ihr Team der Offshore-Industrie wertvolle Informationen über die Eigenschaften des Meeresbodens. Dr. Erwin Schuirmann achtet auf das kleinste Detail – seine Analysen tragen dazu bei, dass Lebensmittel und insbesondere Fischprodukte sicher sind. Die Gemeinsamkeit der drei: Sie denken wissenschaftlich und handeln unternehmerisch; ihre Firmen haben ein Alleinstellungsmerkmal zumindest im nationalen, wenn nicht sogar im internationalen Maßstab. Und alle drei arbeiten in Bremerhaven.
Balaresque leitet den Großwindkanal, in dem die Deutsche WindGuard GmbH der Windkraftindustrie hilft, Rotorblätter zu optimieren. Dr. Usbeck ist Gründerin und Inhaberin der Fielax Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung GmbH, die mit Informationen über die Wärmeleitfähigkeit des Meeresbodens Hinweise auf Öl- und Gasvorkommen oder auf die Auswirkungen von Hochspannungskabeln auf dem Meeresboden liefert. Und Dr. Schuirmann ist Geschäftsführer des Instituts für Lebensmittel- und Umweltanalytik Iben GmbH. Das untersucht im Auftrag der Industrie und für Behörden Lebensmittel auf Inhaltsstoffe und analysiert Umweltproben auf Schadstoffe. Die drei Unternehmen stehen beispielhaft für privatwirtschaftliche Unternehmungen an einem Forschungsstandort, der auf den ersten Blick von öffentlich-rechtlichen Institutionen geprägt zu sein scheint.
Wissensintensive Jobs
Wissensintensive Dienstleistungen heißen diese unternehmerischen Aktivitäten und Firmen wie Ingenieurbüros im Fachjargon der Wirtschaftsforscher. Im Land Bremen haben sie sich einer Studie der Arbeitnehmerkammer zufolge als Wachstumsmotor entwickelt. Seit 2007 entstanden in diesem Bereich rund 15.000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in Bremen und Bremerhaven. In der Summe soll es rund 70.000 wissensintensive Jobs im Bundesland geben. Und es ist noch Luft nach oben. „Bremen hat mit der Hochschul- und Forschungslandschaft gute Voraussetzungen, wissensintensive Dienstleister anzusiedeln“, ist Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer, überzeugt.
Wärmeleitfähigkeit des Meeresbodens
Dr. Regina Usbeck ist Beispiel dafür, wie diese Transferprozesse aus der öffentlichen Forschung in die privatwirtschaftliche Wissenschaft funktionieren. Die Physikerin kommt aus dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI). 2002 gründete sie mit Kollegen Fielax ein Unternehmen, das zunächst die wissenschaftliche Datensammlung und -verarbeitung sowie die dafür notwendigen Systeme des Forschungseisbrechers „Polarstern“, später der Polarforschungsflugzeuge sowie weiterer Wissenschaftsschiffe betreute. Am Rande einer der Forschungsfahrten kam im privaten Gespräch die Frage auf, wie man die Wärmeleitfähigkeit des Meeresbodens messen kann.
Das Thema ist auch für Unternehmen interessant, die Hochspannungsstromkabel im Meeresboden verlegen oder nach Öl- und Gasvorkommen suchen. Aus der Temperaturleitfähigkeit von Sedimentschichten, Sand und Gestein lässt sich auf mögliche Kohlenstoff-Lager im Meeresboden schließen; für die Genehmigung einer Stromtrasse beispielsweise durch den Boden der Nordsee muss geklärt werden, welche Auswirkungen die teils hohen Temperaturen der Hochspannungskabel auf die Umgebung haben. Fielax entwickelte eine Art überdimensionales Grillthermometer, das tief in den Meeresboden „gesteckt“ wird, Wärmeimpulse ausstrahlt und die Abkühlung aufzeichnet. „Die Kunst besteht darin, die gewonnenen Daten richtig zu interpretieren“, erläutert Usbeck: „Wir haben einen Nischenmarkt gefunden, auf dem wir weltweit kaum Wettbewerber und deshalb eine entsprechende Nachfrage haben.“ Mit knapp 20 Beschäftigten entwickelt und baut die Wissenschaftlerin die Instrumente, verkauft oder vermietet sie in aller Welt und kümmert sich um die Auswertung der Daten.
Hoch spezialisierter Großwindkanal
Während Regina Usbeck aus Bremerhaven heraus Kunden in aller Welt betreut, ist der Großwindkanal der Deutschen Windguard von außen nach Bremerhaven gekommen. Das Mutterunternehmen ist im niedersächsischen Varel ansässig und mit rund 170 Beschäftigten an verschiedenen Standorten in Deutschland als unabhängiger, herstellerneutraler wissenschaftlicher Dienstleister für die Windkraftbranche tätig. Vor gut zehn Jahren suchte das Unternehmen Platz für einen hoch spezialisierten, sehr leisen Großwindkanal zur aerodynamischen und akustischen Optimierung von Rotorblättern. „Wir wollten den Windkanal mit elektrischer Energie aus einer Windkraftanlage betreiben“, erinnert sich Balaresque. Die niedersächsischen Behörden taten sich jedoch schwer mit dem 2-Megawatt-Windrad. „In Bremerhaven war das anders, die Wirtschaftsförderer waren sofort begeistert“, berichtet Balaresque.
Der Windkanal ist eine ingenieurtechnische Meisterleistung. Sechs jeweils 160 PS starke Ventilatoren beschleunigen die Luft in einem geschlossenen haushohen Schacht, der sich rund um das Gebäude auf 120 Meter Gesamtlänge erstreckt, auf etwa 30 km/h. An den Hausecken wird der Wind durch spezielle Schalldämpfer geleitet, schließlich strömt die Luft durch ein System von Lochsieben und Wabenstrukturen, die jegliche Turbulenzen „glätten“. Schließlich wird die Luft in einer 1,25 Meter hohen und 2,7 Meter breiten Düse auf bis zu 360 km/h beschleunigt, bevor sie auf das zu untersuchende Rotorblattsegment trifft. Über verschiedene Sensorsysteme gewinnen Balaresque und seine Kollegen Rainer Kuhlemann und Janick Suhr Aufschluss darüber, ob die Luft das Blatt optimal umströmt und welche Auswirkungen beispielsweise Verschmutzungen auf der Oberfläche haben: „Mit Hilfe von 80 Mikrofonen in der Windkanalwand können wir auch die Geräuschentwicklung am Blattprofil messen“, erläutert Balaresque. Deswegen darf der Wind nicht durch den Kanal pfeifen, sondern selbst bei höchsten Geschwindigkeiten nur flüstern. Die perfekte Aerodynamik ist für eine möglichst hohe Windkraftausbeute wichtig; die Akustik ist auch entscheidend für die Akzeptanz eines Windparks in der Bevölkerung. Für die Industrie wäre es zu aufwendig, einen solchen zumindest in Europa einzigartigen Kanal zu betreiben.
Wissenschaft und Vertrauenssache zugleich
Gemessen an den relativ jungen Aktivitäten von Fielax und Windguard ist Dr. Erwin Schuirmann ein alter Hase im privaten Wissenschaftsgeschäft. Das Labor Iben wurde 1980 von dem Lebensmitteltechnologen Hans-Jürgen Iben als Ein-Mann-Unternehmen gegründet. Mittlerweile sind es 70 Beschäftigte. Schuirmann ist seit rund 25 Jahren als staatlich geprüfter Lebensmittelchemiker dabei und seit 2011 Geschäftsführer. Mit Erreichen der Altersgrenze verkaufte Iben vor knapp zwei Jahren sein Lebenswerk an die auf Fachlabore spezialisierte Ariana-Holding, die das Unternehmen unverändert weiter führt. Das hat einen klaren Grund: Lebensmittelanalytik ist Wissenschaft und Vertrauenssache zugleich. „Nicht nur unsere direkten Kunden, sondern auch die Verbraucher müssen darauf vertrauen, dass wir absolut zuverlässig und korrekt arbeiten“, betont Schuirmann. In kaum einem anderen Bereich als der Lebensmittelproduktion ist so genau geregelt, welche Stoffe enthalten sein dürfen; potenzielle Beeinträchtigungen müssen erkannt werden, bevor sie den Verbraucher erreichen.
Kernkompetenz ist der Fisch
Seit Beginn hat sich das Labor Iben besonders um das Thema Fisch gekümmert. Der Gründer kommt aus der Lebensmittelproduktion, hatte selbst einen Herstellungsbetrieb, bevor er auf die Untersuchung und Analyse umschwenkte. „Zu unseren Kunden zählen große Handelsketten, die uns eigentlich nur einen einzigen Auftrag gegeben haben“, berichtet Schuirmann: „Stellt sicher, dass die Qualität unserer Waren sicher und risikolos ist.“ Weil die Untersuchungsmethoden und die erforderlichen Kompetenzen für andere Analysegebiete ähnlich sind, hat Schuirmann das Tätigkeitsfeld seines Unternehmens ausgeweitet und untersucht beispielsweise Trinkwasser oder Bodenproben auf Schadstoffe. „Aber unser Kerngebiet ist weiter der Fisch“, betont er, „da haben wir nach wie vor ein Alleinstellungsmerkmal auf dem Markt.“ Das Erstaunliche: Obwohl Bremerhaven die Heimat der Fischindustrie ist, hat Iben den größten Teil seiner Kundschaft weit außerhalb in ganz Deutschland.
Fehlende Fachkräfte
Private und öffentlich-rechtliche Forscher arbeiten im Land Bremen Hand in Hand. Einer Umfrage der Handelskammer zufolge betrachten die Privaten den öffentlichen Wissenschaftsbereich als Bereicherung. Doch mit den übrigen Rahmenbedingungen sind die privatwirtschaftlichen Wissenschaftler der Umfrage zufolge nicht wirklich zufrieden. Das „Niveau kommunaler Steuern, Gebühren und Abgaben“ halten viele Betriebe der Umfrage zufolge für ebenso verbesserungsbedürftig wie die „Unternehmensorientierung der Verwaltung“ oder allgemein das „Image der Städte“. Letzteres verschafft den forschenden Firmen offenbar ein grundsätzliches Problem: Sie haben Schwierigkeiten, Fachkräfte nach Bremen und Bremerhaven zu bekommen.
(Wolfgang Heumer)